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Interview mit dem Creator von Schreib Mich Ab: „Die Schule ist wie ein Mini-Modell der Gesellschaft“

Der Hinweistext

Marik Aaron Roeder (auch unter dem Namen „Mik“ bekannt) ist ein Urgestein der YouTube-Welt, Autor und der Creator von „Schreib Mich Ab“ – ein Podcast von Funk, der die Geschichte von Leviatan verfolgt. Ein Hacker, der die persönlichen Daten von Schüler*innen benutzt, um sie zu doxen, manipulieren oder Schlimmeres zu tun. Im vergangenen Jahr wurde die dritte Staffel veröffentlicht, womit der Podcast mit einem großen Finale zum Ende kam. Für jede Person, für die das interessant klingt, ist die Serie hier kostenlos verfügbar. In dem Interview werden wichtige Punkte der Handlung besprochen. Demnach würde ich es empfehlen, den Podcast erst selbst zu hören, bevor du weiterliest.

Das ist der zweite Teil des Interviews. Falls du mehr zu den anderen Figuren (Kai, Jamila, etc.) wissen willst, findest du den Link zu der ersten Hälfte hier: Interview mit dem Creator von Schreib Mich Ab: „Wir haben viel gemeinsam, aber erfahren das Leben trotzdem ganz anders“ – JuMa22

Das Interview

D: Jay zitiert im Finale der dritten Staffel ja Kai mit dem, was er im Finale der ersten Staffel sagte. Worauf wollte Jay da hinaus?

M: Ich würde sagen, dass es ein bisschen dieses große Oberthema von „SMA“ generell ist, dass man immer aufpassen muss, wieso wer welche Geschichte erzählt. Denn wir wissen selbst in dem Moment nicht, ob Kai die Wahrheit sagt. Und in dem Moment, wo Jay das uns nochmal um die Ohren wirft, wird nochmal ein bisschen in Frage gestellt, ob Kai uns damals vielleicht auch nicht die Wahrheit erzählt hatte.

In Kais Finale ist es eine Abmoderation. Also wir wissen gar nicht, wie real findet das gerade in diesem Universum [statt]. Und in dem Moment aber, erinnern wir uns trotzdem an das Finale der ersten Staffel zurück und merken das wird hier noch mal wichtig. Es ist eigentlich ein Appell an die Zuhörer*innen, immer wachsam zu sein, egal ob jetzt nur in der fiktiven Geschichte oder im Internet oder in der Politik. Guck immer, wer erzählt die Geschichte und warum.

D: Auf deinem YouTube Kanal hast du ja mal erwähnt, dass Jay auf einem alten Freund von dir basiert [und], dass dieser Freund vor anderen Leuten ganz oft seine Partner bloßstellen würde. Was interessant ist, da Jay als Leviathan ständig Sachen [von seinen festen Freunden] veröffentlicht hatte. Nicht nur bei Mo, sondern auch bei Henry, der sein Partner im Cybercrime war. Und da ist die Frage, war das bloß, um Henrys Beteiligung mit der Leviatan-Sache zu verstecken, oder war für Jay die Ebene der Bloßstellung wichtig?

M: Die erste Staffel funktioniert, auch wenn es Staffel zwei und drei nicht geben würde. Von daher wollten wir genau das, was du jetzt machst, diesen Interpretationsspielraum offenlassen, dass man sich selbst fragt: „Hat Henry die Sachen dann wirklich alle selbst geleakt, oder hat Jay die Sachen geleakt und Henry damit unter Druck gesetzt?“ Also bis zum Schluss bleibt die Beteiligung von Henry eher mit einem relativ großen Fragezeichen versehen, weil er sich ja so der Situation und der ganzen Verantwortung entzieht, weggezogen ist und [nur] das Nötigste tut, um seinem schlechten Gewissen Abhilfe zu schaffen.

In mir selbst finde ich, dass klingt richtig, was du gesagt hast, dass Jay Henry absolut bloßstellt, weil das einfach eine Taktik von Jay ist, […] Also zum einen dieses mit Liebe überschütten bis nicht mehr gegeben wird, er guckt durch Spielchen, wie viel er daraus noch profitieren kann, und wenn das nichts mehr bringt, dann wird die Person abgesägt. So wie Henry praktisch klein gehalten, stillgehalten und abgesondert wurde. Wodurch immer im Unklaren bleibt, was hat er gegen Henry in der Hand, wie groß ist Henrys Beteiligung wirklich und wir das ja bis zum Schluss tatsächlich nicht erfahren.

D: In der ersten Staffel wirkte die Dynamik zwischen den zwei Leviathans ein bisschen wie die von Ghostface. War das eine direkte Inspiration?

M: Ja, also ich würde sagen, „Scream“ ist schon generell eine Rieseninspiration für mich, […] und was ich wollte, ist den Grusel dieser Situation zu nehmen, aber nicht im Horrorgenre lassen, sondern in den Thriller-Jugend-Bereich holen. Dass du halt nicht dieses hast von: „Okay, ich muss 16 oder 18 sein, um diesen Thrill zu erleben“, sondern dass irgendwie ein nahbares, realistisches Szenario zu holen. Um es kurz zu machen: Ja, Scream diente als Inspiration für „SMA“.

D: Was wären noch so Serien oder Filme, die du als Inspiration kennzeichnen würdest?

M: Ich glaube, nicht von der Hand zu weisen ist, dass es schon fast so ein Genre ist, dieses mit-Geheimnissen-erpressen-Ding. Also „Pretty Little Liars“, „Gossip Girl“ sind Serien, die einem da sofort einfallen. Aber dieses Konzept gibt es einfach gerade im Jugendbereich sonderlich häufig und ich glaube, es kommt nicht von ungefähr, sondern, weil wir noch in der Jugend damit beschäftigt sind, unsere Identität zu finden, dass wir so viel maskieren und dass das das Gruseligste ist, was wir uns vorstellen können.

Nicht, dass jemand kommt und uns umbringt, sondern der soziale Tod, dass ich vor Freunden und anderen Leuten, […] mein Gesicht verliere und nicht aufrechterhalten kann. [Dieses] Bild, das ich nach außen gerne zeigen möchte, um so stark zu wirken. Wenn all das zusammenfällt, ist das, glaube ich, das Schlimmste, was einem in der Jugend passieren kann. Gerade weil ich glaube, darum geht es viel in Staffel eins von „SMA“, dass die Schule wie ein Mini-Modell der Gesellschaft ist. Also, dass ganz wenig Leute oben stehen und ganz viele Leute unten stehen und die von oben immer nach unten treten und niemand unten sein möchte und es immer darum geht, „Wie komme ich am weitesten nach oben?“ Oder bei Kai: „Wie schaffe ich es, oben zu bleiben, obwohl ich weiß, eigentlich gehöre ich hier gar nicht hin?“. Lieber auf cool zu tun, ruhig zu bleiben und immer mit der Angst leben, dass es irgendwann dich trifft und du wieder nach unten fällst. Ja, ich glaube, dass darum so dieses Genre an sich eigentlich ein relativ Großes ist im Jugend/Teen-Bereich.

D: In diesen Teen-Thrillers gibt es ja immer ein totes Mädchen, was so ein bisschen in den Narrativen herumgeistert, und in der ersten Staffel war das ja irgendwo Janus, wo alles zurück auf ihn führte, aber als wir den Fäden folgten, [fanden wir heraus], dass Janus weder tot noch ein Mädchen ist. Was ein interessantes Spiel mit Klischees ist. Habt ihr aktiv mit Tropes gespielt und, wenn ich so fragen darf, mit Absicht ins Queere gezogen?

M: Ja, voll.

Also das mit Janus war auf jeden Fall genau deswegen diese Überlegung, weil, wenn wir wissen: „Ah, da ist dieses Mädchen verschwunden, wir wissen, wo diese Geschichte hingeht“ und wir wollten da einen Turn drauf bringen, dass es nicht immer so einfach ist, weil die Welt auch nicht so einfach ist. Und mir war trotzdem wichtig, dass die ganze Trans Storyline kein Gimmick ist, irgendwie zu einem Mindfuck-Moment zu machen und dann ist es nie wieder relevant. […] Von daher war uns sehr wichtig, dass wir die Geschichte mit super viel Respekt behandeln und sie so realistisch wie möglich darstellen. Da war „Druck“ zum Beispiel eine große Inspiration, die Funkserie, weil ich finde, da wurde super verantwortungsvoll und reif mit dem Trans-Thema umgegangen. Und ich habe das geguckt damals und dachte: „Sowas müsste es irgendwie häufiger geben“. 

Von daher haben wir viele, glaube ich, viele Tropes ins Queere verkehrt auch. Ich glaube, dass unser Survival Girl nachher Mo ist, irgendwie und nicht Zoe und sie nachher die ist, die Jay runterstürzt und nicht irgendwie der starke Mann kommt, der sie rettet und trotzdem man das am Anfang ja denkt, weil Zoe die ist, die erstmal von Jay gegriffen und eingesperrt wird und man denkt: „Ach, diese Geschichte wieder“ und wir dann immer wieder gucken, okay, wie drehen wir es wieder auf den Kopf.

D: Gab es gewisse wahre Ereignisse, auf denen die Handlung von “Schreib Mich Ab” basiert? Im Sinne von echten Kriminalfällen?

M: Ja, wir haben relativ viele Sachen mit rein gewurschtelt. Also, zum Beispiel, die ganze Sache mit der „Schreib Mich Ab“-App ist eine Abwandlung der Anton-App-Situation damals, wo, ich glaube, sie wurde nicht mal gehackt. Es wurde nur bekannt, dass es da eine Sicherheitslücke gibt, durch die man sich als Schüler [oder] als Lehrer ausgeben, in Chats und reingehen kann. Dann war das ein richtiges Rabbit Hole. Darauf basierend haben wir die erste Staffel geschrieben. Wir haben geschrieben und als wir die zweite Staffel bekommen haben, dachten wir uns: „Gucken wir mal was, ob es da noch mehr Fälle gibt“.

Wenn du anfängst zu recherchieren, herausfindest wie unsicher diese ganzen Apps sind, findest du auch all diese anderen Fälle, wie die Sachen, die wir bei Teachoo, dann verarbeitet hatten, dass du teilweise Schul-Apps hattest, wo du dich als sechsjähriges Kind ausgeben, vor einen Kindergarten stellen und dich einloggen von außen Leute anschreiben konntest. […] Das ist supergruselig. Also daher kam diese ganze GPS-Idee damals.

Und ja jetzt zum Schluss in der dritten Staffel war es dieser große Fall von den Cyber-Kidnappings, der wirklich relativ akkurat sogar nachgestellt ist. Diesen Fall, mit dem wir eröffnen, von diesem chinesischen Austauschschüler, den gab es tatsächlich, aber in Amerika und wenn man den googelt, findet man sogar Videos davon, wie diese Polizisten vor diesem Zelt stehen und diesen Jungen da rausholen, der mit seinen ganzen Handys da sitzt.

Ich mag diese Komponente, dass man sagt, man nimmt sich reale Fälle, denn das macht die Sache realistisch und ich finde tatsächlich auch immer ganz geil, wenn Sachen inspiriert durch reale Fälle sind, weil du hast nicht den Zwang das eins-zu-eins wiederzugeben, sondern du kannst es fiktionalisieren und weiterspielen und sagen: „Okay, wo könnte das denn hinführen, wo könnte das hingehen?“ Und ich glaube das ist auch ein bisschen die Aufgabe von „Schreib Mich Ab“, eine Awareness zu schaffen. Die Frage stellen, was es da draußen gibt und was das theoretisch anrichten könnte und wo wir uns Gedanken machen sollten, wo wir unsere Daten teilen, wo wir „akzeptieren“ und „zulassen“ klicken.

D: In der zweiten Staffel, wird die True Crime Community ziemlich stark kritisiert, unter anderem dafür, wie sie wahre Kriminalfälle in eine makabre Form der Unterhaltung verwandeln. Aber offensichtlich lassen sich sehr viele Thriller und Horrorfilme von wahren Ereignissen inspirieren und das wirft die Frage auf, wo ihr für euch da die Linie gezogen habt?

M: Wir haben die erstmal genau da gezogen, dass wir Staffel zwei gemacht haben und, dass wir erstmal alle Leute mit ins Boot holten, die auf True Crime abfahren, mich inklusive, weil wir gesagt haben: Das ist auch immer eine Selbstreflexion und eine Aufarbeitung von Themen, die einen selbst interessieren, dass man denkt, woher kommt diese Faszination und was macht das mit einem? Und über dieses ganze Set-Up, […] und wenn die Leute dir zuhören und in die Story involviert sind, dann erreichst du sie eigentlich am meisten und da kannst du sie am meisten dafür sensibilisieren, dass man das vielleicht genießen kann und, dass daran ‘per se nichts verwerfliches ist, aber was für Probleme damit einherkommen, gerade so was Schuldfragen angeht, dass man sagt: „So, ja, dann war die Person wohl nicht gut genug drauf vorbereitet, weil ich jetzt, wenn ich diese True Crime Fälle höre, so gut darauf [vorbereitet wäre]“. Was ein merkwürdiger Gedanke ist, weil es immer die Schuld dem Opfer zuschiebt und einem immer eine falsche Sicherheit gibt.

Und ich glaube, dass sich dem wieder bewusst zu sein, hilft, wieder sich selbst zu hinterfragen und zu sagen: „Okay, vielleicht konsumiere ich das zu viel, wenn es mir damit schlecht geht und ich auch in so eine Angstpsychose reinrutschen kann“, weil wie man sieht, so wie Laura auf alles reagiert und überall ihre Verbindung sehen möchte, das ist sehr dicht dran an Verschwörungsglauben. Also ne, diesen ganzen Verschwörungsmythen […]. Und da sehe ich Parallelen und Gefahren. Aber ich bin kein Fan von „Das ist schlecht und sollte man verbieten“, sondern eher „Hey, das ist interessant, aber denk mal, behalt das mal im Hinterkopf“. So wie KI in der dritten Staffel.

D: Ich würde ganz kurz an das Thema Jays vermeintlichen Tod anknüpfen. Er ist der einzige Charakter, der stirbt und selbst bei ihm ist es so ein bisschen offengeblieben. Glaubst du, obwohl sich all diese Figuren ständig in gefährlichen Situationen bewegen, du dich irgendwo davor gescheut hast, Figuren wirklich umzubringen?

M: Ich glaube, wir hatten zum einen oft das Problem des Jugendschutzes, dass wir halt eine Jugendserie sind und da Themen sind, die einfach sehr schwierig gut zu erzählen [sind], denn ich habe kein Interesse, [so was Halbes] zu machen. Auch diese ganze Janus-Geschichte am Anfang mit diesem, wie wir da um die Wortwahl gekämpft haben, obwohl ja nachher klar war, dass Janus nicht tot ist, sondern sein alter Name tot ist – Selbst das war schwierig durchzusetzen. 

Die Sache als Laura in der zweiten Staffel mit sich kämpft und sagt: „Was? Soll ich mich jetzt umbringen, oder was?“ Das spricht sie, glaube ich, nicht mal mehr so direkt aus, weil das war schon wieder schwierig durchzusetzen. Von daher ist der Jugendschutz da auch eine große Sache und ein großes Thema, wo wir gesagt haben: Okay, das ist eine Instanz beim Öffentlich-Rechtlichen, wo wir uns ungern mit anlegen wollen würden, weil es einfach Zeit frisst, jedes Mal das Skript zu überarbeiten, wieder einzuschicken und zu gucken [ob es geht]. Aus der Einfachheit haben wir es lieber nicht gemacht.

Tod hat so was Endgültiges. Ich weiß nicht, ob sowas in einer Jugendserie etwas Notwendiges ist, gerade wenn es um Freunde und so weiter geht, ist es traurig genug, wenn das passiert und unabwendbar ist. Ich glaube, hätte ich es wirklich gefühlt, dass man es machen muss, hätte ich es drastischer gemacht. Aber nur einen Tod reinzuschmeißen, um dramatisch zu werden, […]. Und ich denke mal, wenn wir es schaffen, zwischen den Charakteren so ein großes Drama zu erzielen, dass die Leute mitfiebern, dann brauchen wir diesen [billigen] Weg nicht.

D: Wenn ich dann fragen darf: Wieso war die Entscheidung am Ende dann, Jay vermeintlich zu töten, statt ihn einfach ins Gefängnis zu stecken?

M: Ich glaube, wir brauchten das als Abschluss für diese Geschichte. Ich finde nicht, dass das die Lösung für die Situation in Real-Life wäre, aber es hat sich so hochgeschaukelt mit denen, dass er bewaffnet war und selbst bereit war zu morden.

Das Thema haben wir ja groß in der ganzen Staffel. Ich sage, dass es eine Entscheidung war, wie Jay gegangen ist. Wir hatten die Situation, dass Jay selbst im Knast saß und wir es so inszeniert haben in der gesamten Staffel, dass die Polizei kein Helfer ist, weil das ein dramaturgischer Spin ist in dieser Art Geschichte. Weil sonst keine Spannung aufkommt. Weil sonst hast du immer die einfache Variante: “Ja, ruf doch die Polizei”. So wie man bei „Pretty Little Liars“ […]. Und ich glaube, es ist ja in dieser Notwehrsituation passiert und was es mit den anderen Charakteren macht, haben wir ja nicht weiter ergründet. Das ist ein bisschen die Sache, wo wir uns vorweg ducken […], aber auch die Kompetenz einfach den Zuhörerinnen zutrauen. Und ich glaube, dass wir nicht wissen, ob die Leiche wirklich gefunden wurde [zeigt], dass es nicht die Lösung ist. 

D: Perfekt. Dann nochmal vielen Dank für deine Zeit. Ich wünsche dir noch einen sehr schönen Tag.

M: Dankeschön, dir auch und Danke fürs Interesse.

Autor:in

  • Deena

    Auf JUMA22 will ich unsere Leserinnen informieren, unterhalten und dazu animieren, meine Lieblingsfilme zu schauen.

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