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Protestieren — Wo fängt man an?

Unter jungen Menschen herrscht ein wachsendes Interesse, an der Politik beteiligt zu sein. Aber wo fängt man an? Um diese Frage zu beantworten, hat sich Deena mit einer Demonstrantin zusammengesetzt, die in diesem Interview anonym bleiben wollte. Sie studiert Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt und kann am Campus oft bei Demos gesehen werden. Aber wie hat sie ihren Weg dahin gefunden?
 
D: Was hat dich persönlich dazu bewegt, dich politisch zu engagieren?
A: Ich war von klein auf in die Politik involviert. Bei uns liefen ständig Nachrichten, und mein Papa hat schon immer, wenn wir uns unterhalten haben, das Gespräch auf Politik gelenkt. Egal, wie wir angefangen haben – wir endeten immer bei politischen Themen. Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind mit meinem Papa und meinem Opa auf Demonstrationen war. Politik war ein großes Thema in unserer Familie. Ich habe schon immer viel darüber gelesen und mich sehr dafür interessiert. 
D: Wie erinnerst du dich an deine erste Demo?
A: Meine erste Demo war, glaube ich, als ich sieben oder acht war. Es war eine richtig gute Demo – friedlich und gut gelaunt. Überrascht hat mich, wie viele Kinder dabei waren. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, worum es konkret ging, aber ich habe eine schöne Erinnerung daran. Also gar nicht gewalttätig oder aggressiv.
D: Wo hast du in deinem erwachsenen Leben angefangen?
 
A: Mich wirklich aktiv zu organisieren oder selbst etwas zu tun, das ist erst nach dem 7. Oktober passiert. Damals dachte ich mir: „Ey, genug! Du musst politisch aktiver werden. Es reicht nicht, nur darüber zu lesen – du musst darauf aufmerksam machen und darüber sprechen.“
 
D: Könntest du Leser*innen, denen nicht klar ist, was das bedeutet, erklären, auf welche Ereignisse du dich beziehst und wieso diese dich bewegt haben?
 
A: Die Ereignisse und Folgen nach diesem Tag in Gaza, haben mich sehr bewegt, insbesondere das extreme menschliche Leid, das seither in Gaza sichtbar ist. Es hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, nicht wegzuschauen und sich für Gerechtigkeit, Menschenrechte und eine solidarische Gesellschaft einzusetzen.
D: Wie findest du heraus wo und wann solche Proteste stattfinden?
A: Während meines Studiums gab es auf dem Campus eine Infostand-Aktion oder Kundgebung zum Thema Palästina. Ich habe mich einfach dazugestellt, zugehört und war total interessiert. Ich habe eine der lautesten Gruppen angesprochen und gefragt: „Kann ich mich euch anschließen? Was macht ihr? Kann man sich mit euch vernetzen?“ So bin ich reingerutscht. Über Instagram habe ich Kontakt zu Studierenden bekommen, die Proteste organisieren. Auf deren Instagram-Seiten habe ich dann weitere Organisationen und Aktivist*innen entdeckt. Dort wird geteilt, wann Demos oder Kundgebungen stattfinden, was gerade relevant ist – und so blieb ich immer auf dem Laufenden.
 
D: Also, um reinzukommen, muss man reinkommen?
A: Ganz genau. Wenn du in der Bubble bist, bekommst du alles rechtzeitig mit. Fotos von Freund*innen oder Nachrichten erreichen dich oft zu spät. Aber durch Kontakte und geteilte Informationen bleibst du informiert. Es motiviert dich, wenn du siehst, dass andere dieselbe Meinung teilen.
D: Müssen sich Protestierende Sorgen um ihre Sicherheit machen?
A: Bezogen auf Polizeigewalt? Schwer zu sagen. Solange du dich an die Regeln hältst, ist es grundsätzlich sicher. In Deutschland muss eine Demo angemeldet werden und du bekommst strikte Vorgaben, an die du dich halten musst, besonders wenn die Regierung dem Thema kritisch gegenübersteht (1). Solange du friedlich bleibst, minimierst du das Risiko. Sobald du anfängst zu rebellieren, bekommst du meist Ärger mit der Polizei oder den Behörden. Du darfst nicht unnötig Aufmerksamkeit auf dich lenken.
 
D: Was wären noch Sicherheitsvorkehrungen, die man da noch treffen könnte, um sich selbst und/oder andere zu schützen?
A: Es ist manchmal schwer, friedlich zu bleiben, wenn dir das Thema so sehr am Herzen liegt. Wenn du das Gefühl hast, dass sich nichts verändert – obwohl man mit vielen ist – kann Wut entstehen. Und dann eskaliert es eher. Wenn du hingegen siehst, dass dein Engagement Wirkung zeigt, bleibt man leichter friedlich. Sicherheitsvorkehrungen beinhalten für mich vor allem: Klaren Kopf bewahren, sich immer wieder daran erinnern, warum man dabei ist, und einfach friedlich bleiben.
 
D: Was würdest du Menschen sagen, die denken, dass man als Einzelperson keinen Unterschied machen kann?
A: Wenn 2000 Leute auf die Straße gehen und nur eine Person merkt: „Hey, da stehe ich dran“, dann ist es schon ein Erfolg. Aber hätten sich 2000 Leute gedacht, dass sie nichts hätten erreichen können, dann wären auf der Straße nicht 2000 Leute gewesen. Das ist wie mit dem Wählen. Wenn wir uns nicht politisch engagieren, funktioniert das Konzept einer Demokratie nicht.
D: Was wären noch andere Wege, um sich politisch zu engagieren?
 
A: Man sollte sich gut informieren, viel lesen, Geschichte studieren und in seinem näheren Umfeld anfangen – etwa im Kreis der Familie. Du kannst etwas anstoßen und wenn deine Familie sich darauf einlässt, weiterliest und es teilt – dann ist das auch ein Erfolg.
D: Gibt es Literatur oder News Quellen, die du da empfehlen würdest?
 
A: Ich würde es nicht empfehlen sich auf nur eine Literatur oder einen Nachrichtensender zu beziehen. Es ist gut, verschiedene Informationsquellen zu haben. Es ist auch wichtig, direkt von Betroffenen oder Journalist*innen vor Ort zu lesen – und sich nicht nur auf westliche Medien zu verlassen (2).
 

D: Vielen Dank für deine Zeit.

Infobox
Am 7. Oktober 2023 hat die Terrororganisation Hamas einen Anschlag auf Dörfer und Kibbuzim (ländliche israelische Gemeinschaftssiedlungen) sowie Besucher*innen eines Musikfestivals im Süden Israels ausgeübt und dabei 1.200 Menschen getötet und 250 Personen entführt. (3) Die Hamas ist eine islamistische, palästinensische Terrororganisation. In der Charta der Hamas von 1988 wird zu Gewalt gegen alle Jüdinnen und Juden und zum Jihad aufgerufen. (4) Noch immer sind israelische Geiseln in der Gewalt der Hamas.

Nach dem Anschlag verfolgt die israelische Regierung das Ziel die Hamas auszulöschen. Infolgedessen wurden und werden tausende Menschen in Gaza vertrieben, getötet und weite Teile des Gazastreifens zerstört. Die israelische Regierung blockierte zudem mehrere Monate den Zugang zu Hilfslieferungen für die palästinensische Zivilbevölkerung. (5) Im August 2025 erreichte die Mangelernährung und Hungersnot insbesondere bei Kindern der palästinensischen Bevölkerung einen neuen Höchststand. (6) Trotz der gewaltsamen Maßnahmen, die von dem israelischen Militär ergriffen wurden, wurden ihre genannten Ziele immer noch nicht erreicht. Stattdessen wurden zwischen Oktober 2023 und 2025 ungefähr 80.000 palästinensische Zivilist*innen vom israelischen Militär umgebracht. Über die Hälfte dieser Zivilist*innen waren Frauen und Kinder. (7) Es ist umstritten, ob die Anzahl an zivilen Toten noch größer ist (8). Allerdings ist es schwer, aktuelle und akkurate Informationen über die Situation vor Ort zu erhalten, da Journalist*innen in den letzten zwei Jahren nur schwer in den Gazastreifen rein- oder rauskommen. Seit dem Jahr 2023 starben in Gaza 246 Journalist*innen (Stand: 01.09.2025), die mit nichts weiterem bewaffnet waren als ihren Kameras. (9) Kritiker*innen und NGOs bezeichnen das Geschehen in Gaza bereits als Genozid (Völkermord). (10)

Auf dem Titelbild sieht man ein Banner an einem Infostand mit der Aufschrift „Apartheid exists. Palestine resists“. Der Begriff der Apartheid wird von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International folgendermaßen definiert: „Ein Apartheidsystem ist ein institutionelles System der Unterdrückung und Herrschaft einer Gruppe gegen eine andere. Es stellt eine schwere Menschenrechtsverletzung dar, die völkerrechtlich verboten ist.“ (11) Amnesty International beschreibt das Vorgehen der israelischen Regierung gegenüber den Palästinenser*innen (Zwangsumsiedlungen, Beschlagnahmungen von palästinensischem Land) als Apartheid und belegt dies in einem umfassenden Bericht. Die Verwendung des Begriffs wird von Jurist*innen und Politiker*innen kontrovers diskutiert und ist umstritten.

Selbstverständlich beginnt die Geschichte von Palästina und Israel lange vor dem Jahr 2023. Allerdings würde es den Rahmen dieses Beitrags sprengen, den vollständigen historischen Kontext zu erklären, weswegen wir uns stattdessen auf ein sehr kleines, aber relevantes Zeitfenster fokussiert haben. Wir ermutigen euch, die Lesenden, das Thema weiter zu recherchieren.

Quellen und Hinweise
(1)
Grundsätzlich gelten für das Anmelden von Demonstrationen unabhängig vom Thema dieselben Vorschriften. Insbesondere bei pro-palästinensischen Demonstrationen gibt es zurzeit immer wieder Fälle von Polizeigewalt. Quelle: https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2025/08/08/polizeigewalt-bei-palaestina-demo-virale-aufnahme-zeigt-polizist-der-schmerzgriff-bei-maedchen-anwendet/
(2) Eine vielfältige Auswahl an unterschiedlichen Medien hilft, andere Perspektiven kennenzulernen und zu verstehen. Insbesondere bei der Berichterstattung über Israel und Gaza unterscheiden sich die Perspektiven und Haltungen der Nachrichtensender international. Die Berichterstattung von deutschen Medien steht immer wieder in der Kritik:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/kommentar-israel-gaza-deutschland-presse-schweigen-100.html
https://www.youtube.com/watch?v=wgEBkXbHj1M
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/berichterstattung-gaza-100.html
(3) https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/541653/ueberfall-der-hamas-auf-israel/
https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/54655/nahost/
https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/israel-gaza-palaestina-jahrestag-angriffe-7-oktober-waffenstillstand-geiseln-freilassen
(4) https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/541866/wer-ist-die-hamas/
(5) https://www.tagesschau.de/ausland/asien/gaza-hilfslieferungen-offensive-102.html
(6) https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/gaza-hunger-hoechststand-mangelernaehrung/350376
(7) https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2025.06.19.25329797v3.full
(8) https://www.theguardian.com/commentisfree/2025/aug/08/gaza-death-toll-higher
(9) https://elpais.com/planeta-futuro/2025-09-01/gaza-el-lugar-mas-letal-del-mundo-para-periodistas-no-hay-margen-para-hablar-de-error.html
(10) https://time.com/6334409/is-whats-happening-gaza-genocide-experts/
(11) https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/israel-amnesty-bericht-systematische-menschenrechtsverletzungen-an-palaestinenser-innen

Weitere Hinweise:
(12) Artikel zu palästinensischen Menschen und Demonstrationen in Hessen: https://www.hessenschau.de/gesellschaft/einschuechterung-wut-angst-wie-palaestinensische-menschen-in-hessen-den-nahostkonflikt-erleben-v1,palaestinensische-perspektive-gaza-100.html

Friedensinitiativen:
(13) Freundeskreis „Palestinians and Jews for Peace“
https://palestiniansandjewsforpeace.wordpress.com/
https://www.instagram.com/palestinians_jews_for_peace/?hl=de

(14) „Parents Circle – Families Forum“: eine Basisorganisation palästinensischer und israelischer Familien, die durch den Konflikt unmittelbare Familienangehörige verloren haben.
https://www.theparentscircle.org/en/homepage-en/

(15) „Tent of Nations / Zelt der Völker“: ein palästinensischer, christlicher, ökologischer Familienbetrieb im Westjordanland, die Workcamps, Freiwilligenarbeit, Freizeiten und Empowerment-Programme anbieten.
https://tentofnations.com/de/

Autor:in

  • Deena

    Auf JUMA22 will ich unsere Leserinnen informieren, unterhalten und dazu animieren, meine Lieblingsfilme zu schauen.

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